Seide – Die elegante textile Endlos-Faser

Seidenraupen
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Vermutlich weißt du, was halbseiden meint. Aber weißt du auch, warum es das tut? Falls ja, spring gleich ein paar Zeilen weiter. Und falls nicht .... Die Bezeichnung halbseiden stammt aus einer Zeit, in der ein textiler Stoff in Weichheit, Glanz und Robustheit alle anderen weit übertraf: die Seide.

Der glänzend-glatte Stoff aus China war ein Luxusgut. Sein Wert wurde lange Zeit mit Gold aufgewogen. Ihn zu tragen war ein Zeichen für Rang und Reichtum. Denn er war allein denen vorbehalten, die ihn sich leisten konnten – Monarchen und ihre Familien, Höflinge, Adelige, mit Ausnahmen Kaufleute. Nur sie waren gekleidet in „Samt und Seide“. Für alle anderen blieben, sofern auch sie nicht am Armenstab gingen, 50/50-Varianten – 50 Prozent Seide, 50 Prozent Kammgarn oder Baumwolle. Halbseidene Stoffe also, die sich vor allem im 19. Jahrhundert gern diejenigen besorgten, die unbedingt zur Oberschicht gehören wollten. Darunter leichte Mädchen, Kokotten, heute würde man sagen: Prostituierte. Gelästert wurde deshalb hinter vorgehaltener Hand von den halbseidenen Personen, die mehr Schein vorgaben als sie Sein verkörperten.

Eigenschaften der Seide

Am Ruf der Seide hat sich bis heute nichts geändert. Er ist exzellent wie ehedem. Seide lässt sich um rund 15 Prozent dehnen, ohne zu reißen. Seide kühlt bei Hitze und wärmt bei Kälte. Sie kann bis zu 30 Prozent ihres Eigengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen. Ihre Oberfläche ist Schmutz abweisend und unempfindlich gegenüber Gerüchen. Seide ist knitterarm, trocknet schnell und erzeugt gefärbt brillante Töne. Sie glänzt und ist meist glatt.

Am besten kann sie ihre Eigenschaften dort ausspielen, wo sie mit der Haut in Kontakt kommt. Und das ist neben Bettwäsche und allem was zur Nacht dazugehört vor allem bei Dessous. Höschen, BHs, Strümpfe, Strumpfhalter oder Negligées aus Seide gehören zum edelsten, was Frau unten drunter tragen kann.

Wie entsteht Seide?

Doch was genau macht Seide so einzigartig?
Neben den Qualitäten der Faser, ist es vor allem ihr Ruf und der Aufwand, der betrieben wird, um sie zu gewinnen – und der ist einzigartig.

Seide ist die einzige in der Natur vorkommende Endlos-Faser, ein sog. Filament. Sie wird gewonnen aus dem Kokon der Larve des Seidenspinners, auch als Maulbeerspinner bezeichnet, einem hauptsächlich in China beheimateten Schmetterlings (Bombyx mori), der aus dem Wildseidenspinner domestiziert wurde. Da sich die Larven des Bomby mori ausschließlich von den Blättern des Maulbeerbaumes ernährend, wird sie auch Maulbeerseide genannt.

Seidenraupen zwischen Maulbärblättern
Die Larven des Bomby mori ernähren sich ausschließlich von den Blättern des Maulbeerbaumes. ©Pixabay/neoeriny

Seide kann auch vom Kokon des Japanischen Eichenseidenspinners (Antheraea yamamai) und aus einer Mittelmeermuschel, der Byssus, gewonnen werden. Der Seidenspinner aber ist der Hauptproduzent. Genauer gesagt ist es seine Larve. Sie ist kurz nach der Geburt winzig klein und frisst sich danach an den Blättern des Maulbeerbaumes in nur vier Wochen (und vier Häutungen) das 14 000-fache ihres Schlüpfgewichtes an.

Fingerdick ist sie, bevor sie mit ihrer Verpuppung beginnt. Dafür produziert sie in ihren Munddrüsen einen Faden, der aus Fibrin, einem hornähnlichen Eiweiß besteht. Sie verklebt ihn mit Sericin, einem Leim. Zuerst spinnt sie zwischen Ästen und Grashalmen ein Netz, darin verankert sie ihren Kokon, den sie aus einem einzigen Faden spinnt, der ausgerollt bis zu vier Kilometer lang sein kann.

Seidenraupe in einem Kokon aus Seide
Der aus einem einzigen Faden gesponnene Kokon kann ausgerollt bis zu vier Kilometer lang sein. ©Pixabay/LoggaWiggler

In diesem Kokon ruht sie – und normalerweise würde nach gut 18 Tagen ein wollig weiß-haariger Schmetterling schlüpfen. Dazu aber kommt es in der Seidenzucht nicht, denn der Spinner würde ein Loch in den Kokon beißen – und das den Faden durchbrechen, was kein Seidensammler möchte. Er will den Faden im Ganzen. Also werden die Puppen zuvor getötet. Entweder durch Heißluft, Trocknen in der Sonne oder heißen Wasserdampf.

Anschließend wird in einem Wasserbad der Leim aus dem Kokon gelöst, der Faden wird abgespult und je nach gewünschter Fadenstärke mit bis zu neun weiteren Fäden verzwirnt. Ca. 3000 Kokons ergeben 250 Gramm Seide. Danach kommt das Garn in eine Weberei, der Stoff in die Färberei und dieser schließlich in die Näherei, wo er zugeschnitten und verarbeitet wird. Fertig ist das Nachthemd, der Kimono, das Höschen, der BH, das Negligée – Kunstwerke aus der Kostbarkeit eines Stoffes, dessen Geschichte älter ist als das Europa der christlichen Zeitrechnung.

China und die Seide

Auf eine Spanne zwischen 2500 und 2800 Jahren v. Chr. datieren Archäologen das Alter der frühesten Seidenstücke, aufgefunden in China, dem Heimatland der Seidenproduktion. Wie die Chinesen zur Seide kamen, um diese Fragen ranken sich drei verschiedene Mythen. Eine besagt, Kaiser Fu Xi habe seinen Untertanen die Seidenkunst beigebracht. Er gilt als Erfinder des ersten Seiden-Instrumentes. Eine andere meint, Kaiser Shennong sei es gewesen, der die Chinesen angehalten habe, Maulbeerbäume zu pflanzen, um auf ihren Blättern die Seidenspinner-Raupen zu züchten. Die dritte schließlich gilt als die gemeinhin Spekulationsresistenteste. So soll Kaiserin Leizu von Xiling, Gemahlin des Gelben Kaisers Huáng Dì, ihrem Volk beigebracht haben, wie man aus Kokons Seide gewinnt. Und aus Seide Kleidungsstücke macht.

Seide in Europa

Wer auch immer es gewesen ist, die Seide war viele Jahrtausende eine chinesische Raffinesse. Seidenspinner-Eier oder Samen des Maulbeerbaumes außer Lands zu schmuggeln, darauf stand deshalb die Todesstrafe. Denn Seide (wie auch Porzellan und Gewürze) machte die Chinesen reich. Trotzdem gelang es angeblich um 555 n. Chr. zwei persischen Mönchen beides außer Landes und ins byzantinische Reich zu schmuggeln, wo tatsächlich um dieselbe Zeit die erste nicht-chinesisch produzierte Seide auftauchte.

Peu a peu etablierten sich in den Jahrhunderten danach in Europa eigene Zentren der Seidenproduktion. Vor allem in Süditalien – Palermo, Mezzina in Sizilien und Cataranzo in Kalabrien. Im Norden des Landes wurde Lucca zum wichtigsten Ort für Seide, später Venedig.

Zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhunderte kamen weitere Zentren hinzu – Lyon in Frankreich, Zürich in der Schweiz und Krefeld in Deutschland. Wer sich also fragt, wieso es so viele Maulbeerbäume hierzulande gibt, der findet seine Antwort in der europäischen Seidenindustrie, die mittlerweile aber vom Alten Kontinent verschwunden ist. Mit China, Indien und Japan, den drei großen Seidenländern, konnten die europäischen Seidenfabrikanten irgendwann nicht mehr mithalten.

Die Seidenstraße

Die Seide gehört also wieder zu China wie ehedem vor mehr als 4000 Jahren. Obwohl der Hauptanteil auf dem Weltmarkt aus Japan stammt, da die Chinesen einen großen Eigenbedarf an der Faser haben. Dennoch produzieren sie 50 Prozent der weltweit im Jahr gewonnenen 500 000 Tonnen Seide. Sie ist nun mal ihr Metier. So wie zu der Zeit, als römische Frauen ihre Leidenschaft für den weichen, kühlglatten Stoff aus China zu entdecken begannen. Jeder Ballen, der Rom erreichte, befeuerte diese Zuneigung. Und das lag nicht nur am Stoff selbst, sondern auch an der Exotik, die er mit nach Rom brachte.

Die Welt war groß zu jener Zeit, und alles, was aus China kam, wirkte wie aus einer anderen Welt. 18 Monate und an die 10 000 Kilometer Wüsten-, Gebirge-, Land- und Wasserweg hatte die Seide hinter sich, bevor sie die Hauptstadt des Römischen Reiches erreichte. Sie ging dabei durch tausend Hände und wurde hundertfach verladen.

Netz der Seidenstraße
Das Netz der Seidenstraße ©Wikimedia Commons/Roylee Lizenz: CC0 1.0 Public Domain

Chinesische Händler brachten sie zu den Häfen nach Sri Lanka, dort kauften indische Händler sie ab, die sie an ihren Küsten weiterveräußerten an arabische und griechische Kaufleute. Der nächste Umschlagsplatz war die Inselgruppe Sokotra im nordwestlichen Indischen Ozean. Von dort aus wurde die Seide bis zu dem antiken ägyptischen Rotmeerhafen Berenike gebracht. Karamelkarawanen transportierten sie anschließend weiter bis zum Nil, wo die Fracht erneut mit Schiffen bis nach Alexandria gelangte. Hier kauften sie überwiegend römische Händler auf, die die Seide schließlich nach Hause importierten.

Der Fernhandel mit Seide setzte etwa gleichzeitig mit der christlichen Zeitrechnung ein. Erst im 2. Jahrhundert gelangte sie auf jenen Weg, der heute so mythisch mit dem Transport der Seide verbunden ist: die Seidenstraße, die das Mittelmeer mit China verband und auf der etwa der Italiener Marco Polo an den Hof des Kublai Khan reiste. Sie war ein Netz aus Handelsrouten und machte manchen Ort berühmt: den Umschlagplatz Herat zum Beispiel (heute Afghanistan), Samarkand (heute Usbekistan) oder Isfahan (heutiger Iran). Als die Chinesen im 13. Jahrhundert den Seeweg als Handelsroute für sich entdeckten, verlor die Seidenstraße an Bedeutung.

 

Was man über Seide noch wissen sollte – ein ABC

Einmal aber noch flackerte ihr Mythos wieder auf – im 19. Jahrhundert, als der deutsche Geograf Ferdinand von Richthofen ihr den heutigen Namen gab. Ihre späte Taufe ist heute weitgehend vergessen, so wie es auch Begriffe wie Momme oder Flockseide sind. Sie zu kennen macht das Tragen von Seiden-Textilien allerdings zu einem noch größeren Vergnügen, als das ohnehin schon der Fall ist. Deshalb kann es nicht schaden, sich mit ein paar von ihnen vertraut zu machen. Zum Beispiel eben mit…

  • Momme – ist eine in der Seidenindustrie verwendete japanische Gewichtseinheit. Ein Momme entspricht ca. 4,306 g pro m2
  • Denier – bezeichnet die Feinheit der Seide („den“)
  • Haspeln (Haspelseide) – bezeichnet den Vorgang, mit dem der Kokonfaden (das Filament) abgesponnen wird.
  • Grège – bezeichnet das aus bis zu zehn Fäden zusammengeführte, ungedrehte Seidengarn, das noch nicht vom Leim befreit wurde.
  • Organsin – ist ein Zwirn aus zwei bis drei Grège, die ineinander verdreht sind. Sie eignen sich besonders für Kettfäden
  • Tramé – ist der Zwirn aus zwei bis drei ungedrehten Grège, sie eignen sich nur als Schussfäden (Krepp).
  • Degummieren – So wird der Vorgang genannt, mit dem die Seide vom Leim und anderen Rückständen befreit wird. Das geschieht durch Waschen in 100 Grad heißem Seifenwasser.
  • Seidenbast – bezeichnet den Seidenkleber.

Seidenarten

Neben den technischen Termini gibt es natürlich auch noch eine Reihe von Begriffen für die verschiedenen Seidenarten. Hier ein Auszug:

Maulbeerseide – gilt als die qualitativ beste Naturseide. Sie wird aus dem Faden des Seidenspinner-Kokons gewonnen.

Tussahseide – wird aus den Kokons der wild lebenden japanischen und chinesischen Tussahspinner gewonnen. Die Raupen ernähren sich von Eichenlaub, weswegen sie auch als Eichenspinner bezeichnet werden. Da der Schmetterling vor der Kokonernte meist ausgeschlüpft ist, sind die Fasern kürzer und nicht abhaspelbar. Den Tussahspinner zu züchrten, ist bis dato misslungen.

Rohseide – bezeichnet zweierlei. Einerseits die abgewickelte Seide vor dem Entbasten (Entleimen). Und andererseits Gewebe, die aus den noch verleimten Grège gefertigt werden.

Wildseide – bezeichnet Seidenstoffe und –garne, deren Fasern aus den Kokons bereits geschlüpfter Seidenspinner gewonnen werden. Zu den Wildseitenarten gehören Tussahseide, Fagaraseide, die aus den Kokons des Atlasspinners gewonnen wird, und auch aus den Kokons des Maulbeerseidenspinners kann Wildseide hergestellt werden.

Flockseide – ist das, was beim Kämmen der Kokons vor dem Waschen gewonnen wird. Die oberste Schicht kann man nämlich nicht abwickeln. Die Fasern sind krauselig und kurz. Flockseide wird ebenfalls zu Garnen versponnen, ist aber nicht so hochwertig wie Haspelseide-Seide.

Bouretteseide – So werden die Kämmrückstände genannt. Auch Bourette-Seide kommt in den Handel, sie wird grob gesponnen, hat kleine Knötchen und ist stumpf.

Seidenstoff

Und schließlich kann man aus Seide alle möglichen Stoffe herstellen. Es kommt nur darauf an, welche Seide verwendet wird. Aus welchen Garnen die Zwirne bestehen. Und wie sie miteinander verwoben werden. Jede Variation ergibt einen eigenen Seidenstoff. Hier eine Auswahl:

Brokat – bezeichnet ein schweres, festes und gemustertes Gewebe, in das Gold- oder Silberfäden eingewoben sind. Brokat ist meist aus Seide oder Rayon (ein Viskose-Filament). Der Begriff gilt wissenschaftlich als überkommen. Brokat wird meist bei Möbeln und Gardinen verwendet.

Chiffon – ist ein feines, durchsichtiges Gewebe. Sein französischer Name leitet sich aus dem arabischen „schiff“ ab, was durchsichtig bedeutet. Chiffon wird aus stark gedrehten Seidenfasern (Organsin und Tramé) hergestellt wird. Dadurch entsteht die charakteristische Kreppoptik.

Crepe de Chine – ist die hochwertigste Seidenart. Sie ist besonders glatt und dadurch angenehm auf der Haut zu tragen. Für den Kettfaden (Senkrechtfaden eines Gewebes) wird sehr wenig gedrehte Seide verwendet, wodurch die glatte Oberfläche entsteht, für den Schuss (Waagerechtfaden) wird Krepp, also mehrmals gedrehte Seide, verwendet.

Damast – Ist ein feiner Seiden-Stoff, dessen Name sich von der syrischen Stadt Damaskus ableitet. Charakteristikum von Damast seine eingewobenen Muster. Das Gewebe kann in Kette und Schuss gleichfarbig sein, dann ist es nur unter schrägem Lichteinfall erkennbar. Die Musterung kann aber auch durch andersfarbigen Schuss hervorgehoben werden. Tischtücher und Bettwäsche sind häufig aus Damast.

Duchesse – meint im Französischen Herzogin. Als Duchesse werden schwere, stark glänzende Stoffe genannt, die im Atlasverfahren aus kräftigem Organsin (stark verdrehte Kettfäden) und aus Tramé (unverdrehte Schussfäden) gewoben wird. Vor allem braucht man eine hohe Dichte an Kettfäden, wodurch der Glanz entsteht. Duchesse wird zu festlichen Kleidern, Kostümen und Blusen verarbeitet sowie als Futterware für Jacken und Mäntel verwendet.

Plissee – ist ein Gewebe mit künstlichen Falten. Dafür werden zwei Kettfäden und ein Schussfaden verwendet. Die Grundkette ist stramm gespannt, die Faltenkette wird dagegen nur sanft gebremst. Plissees werden vornehmlich als Hemd- oder Kleiderstoffe verwendet.

Satin oder Atlas – Das Wort Satin stammt vom arabischen Namen für die chinesischen Hafenstadt Quanzhou, ab, Zaitun. Atlas ist ebenfalls arabischen Ursprungs und meint glatt. Satin oder Atlas-Gewebe sind solche mit einer glatten Oberfläche und einer matten Unterseite, sie glänzen stark. Erzielt wird die Wirkung durch eine bestimmte Art, Kett- und Schussfäden zu verweben, Atlasbindung genannt. Auf der Oberseite überwiegen die Schussfäden, auf der Unterseite die Kettfäden.

Tierschutz

Ein Wort noch zu den tierethischen Bedenken bei der Gewinnung von Seide. Seide ist die einzige textile Faser, für die Lebwesen getötet werden müssen, um sie zu gewinnen, nämlich die Raupen des Seidenspinners. Das kann man okay finden oder aber nicht mitverantworten wollen. Wer sich aus letzteren Gründen gegen die Verwendung von Seidenprodukten entscheidet, muss auf die Qualitäten von Seide allerdings nicht verzichten. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Fasern, die Seide in Weichheit, Glätte und thermischen Qualitäten wunderbar imitieren. Lyocell ist so eine, Micromodal auch, oder aber Kunstseide, Sojaseide sowie Seide aus Agaven bzw. Bambus.