Starke Frauen: Mythos Trümmerfrauen – zwischen Wahrheit und Verklärung

Ruinen in Dresden
So wie auf diesem Bild von Dresden sahen nach dem zweiten Weltkrieg viele deutsche Städte aus © istock/rglinsky
In der Erzählung des Wiederaufbaus Deutschlands, nach dem 2. Weltkrieg spielt die Trümmerfrau eine entscheidende Rolle. Hunderte von deutschen Städten lagen nach Panzerattacken und Luftangriffen in Schutt und Asche. Eine ganze Generation von jungen Männern war gefallen, befand sich in Kriegsgefangenschaft oder war traumatisiert von der Front heimgekehrt. Die monumentale Aufgabe des Wiederaufbaus fiel deshalb den Frauen zu.

Wir von SUNNY DESSOUS wollen deshalb diesen Teil unserer Serie „Starke Frauen“ den Trümmerfrauen widmen und dabei auch mit einigen Mythen aufräumen, die diese seit Jahrzehnten unberechtigterweise umwehen.

„Ein Symbol für den Wiederaufbauwillen des deutschen Volkes und für seine Überlebenskraft“ – Helmut Kohl

Um sich das wirkliche Ausmaß der Zerstörung Deutschlands nach dem 8. Mai 1945 vorzustellen, reicht ein eindrucksvoller Vergleich. Nach dem Sieg der Alliierten war ein Großteil der deutschen Städte unter der unglaublichen Menge von zirka 450 Millionen Kubikmeter Schutt begraben. Hätte man diese Trümmer auf einer Fläche von zehn Fußballfeldern zusammengetragen, wäre der Berg aus Schutt so hoch wie Europas höchster Berg, der Mont Blanc (4.810 Meter) gewesen. Die am stärksten zerstörten Städte waren Hamburg und Dresden. In der Hafenstadt im Norden wurde mehr als die Hälfte des Wohnungsbestandes komplett zerstört und weitere 25 Prozent beschädigt. In Dresden starben bei den Luftangriffen zwischen dem 13. und dem 15. Februar 1945 geschätzt 25.000 Menschen. Die barocke Altstadt war noch in den 1980er Jahren stark von Brandspuren gezeichnet. Eindrucksvollstes Symbol: die völlig in Trümmern liegende Frauenkirche, welche erst 2005 wiederaufgebaut wurde.

 

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Doch die Bilanz war auch für das übrige Deutschland verheerend. Insgesamt waren in 62 deutschen Städten knapp vier Millionen Häuser zerstört. Das entsprach einem Viertel des Gesamtbestandes (16 Millionen) und verursachte die Obdachlosigkeit von über sieben Millionen Männern, Frauen und Kindern. Zerstört waren außerdem rund die Hälfte aller Schulen, Krankenhäuser und Fabriken.

7 Millionen mehr Frauen als Männer

Aus Ermangelung an männlichen Arbeitskräften befahlen die Alliierten, dass sich in allen Besatzungszonen die Frauen zwischen 15 und 50 Jahren aktiv an der Nachkriegssäuberung zu beteiligen hätten. Das war auch deshalb möglich, weil für diesen Zweck vorher geltende restriktive Bestimmungen zum Schutz der Frauen auf dem Arbeitsmarkt aufgehoben worden waren. Wie wichtig die Beteiligung der Frauen an dieser Aufgabe war, zeigt der Fakt, dass es nach 1945 in Deutschland etwa sieben Millionen mehr Frauen als Männer gab.

Private Unternehmen organisieren die Trümmerarbeit

Die Organisation der Schuttbeseitigung wurde vor allem in den westlichen Besatzungszonen, aber anfänglich auch in der östlichen Zone privaten Unternehmen übertragen, die dann wiederum die Frauen beschäftigten. Die Hauptarbeit bestand dabei vor allem darin, noch stehende (aber für den Wiederaufbau ungeeignete) Gebäudeteile abzureißen. Danach wurden die Ziegel einzeln mit Hämmern abgeklopft und in einer langen Kette von Frauen auf die Straße transportiert, wo sie gereinigt und gestapelt wurden. Auch Balken aus Holz oder Stahl und Gegenstände wie Waschbecken, Toiletten, Kamine oder Rohrsysteme wurden gesammelt und auf zentrale Plätze gebracht, von wo sie für den Wiederaufbau verteilt wurden. Der nicht mehr wieder verwendbare Schutt wurde vor allem zum Ausfüllen von Gräben oder Bombenkratern benutzt. Andere stapelten sich zu gewaltigen Trümmerbergen. Eine der eindrucksvollsten dieser „Erhebungen“ befindet sich im Berliner Volkspark Friedrichshain. Der große Bunkerberg wird im Volksmund nur „Mont Klamott“ genannt, ist knapp 40 Meter hoch und mittlerweile – komplett von Bäumen und Sträuchern überwachsen – ein beliebtes Ausflugsziel.

Als Lohn – eine Lebensmittelkarte

Für die Schufterei von täglich neun Stunden bekamen die Trümmerfrauen einen regelrechten Hungerlohn in Höhe von noch nicht einmal einer Reichsmark pro Stunde. Zum Vergleich: ein großer Laib Brot kostete 1945 über 50 Mark. Dafür musste eine Frau also die ganze Woche arbeiten. Glücklicherweise gab es pro Tag als Lohn ebenfalls eine Lebensmittelkarte, für die die Frauen aber nur das absolute Minimum an Essen und Trinken erhielten.

Mythos glückliche Trümmerfrau

Trümmerfrauen waren ein kleiner, aber wichtiger Bestandteil des Wiederaufbaus in Deutschland, ©Deutsche Fotothek‎, Fotothek df roe-neg 0001374 003 Gruppenbild eines Trümmerbeseitigungstrupps, CC BY-SA 3.0 DE

In beiden Teilen Deutschlands wurden die Trümmerfrauen zu DEM Symbol des Wiederaufbaus und deshalb schnell verklärt. Das Bild von fröhlichen Frauen, die während der freiwilligen Arbeit singen und erzählen, ist dabei aber eher Wunsch und Mythos als historisch belegte Realität. So haben Studien ergeben, dass in Wirklichkeit nur wenige Frauen freiwillig zur Trümmerbeseitigung angetreten waren. Auf der einen Seite gab es die Strafarbeit von ehemaligen Nazi-Funktionären. Andere wurden von Arbeitslosigkeit und Hunger auf die Trümmerberge getrieben. Viele angehende Studentinnen mussten Arbeitsstunden in der Trümmerbeseitigung nachweisen, um sich an den Universitäten einschreiben zu können. Die Beseitigung der Trümmer war weder bei Frauen noch bei Männern sonderlich beliebt. Das lag auch daran, dass dieser Job während des Krieges von Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen oder der Hitlerjugend gemacht worden war. Nach dem Krieg wurden dann deutsche Kriegsgefangene und ehemalige Mitglieder der NSDAP zu dieser „Widergutmachung“ gezwungen. Erst als klar war, dass weit mehr Menschen zur Schuttbeseitigung gebraucht wurden, wendeten sich die Behörden an die Bevölkerung. Dabei war diese Tätigkeit in den westlichen Besatzungszonen freiwillig und in der sowjetischen Besatzungszone von Oben verordnet.

In Ostdeutschland waren Trümmerfrauen Symbol der Emanzipation

Um die Popularität der eigentlich ungeliebten Arbeit zu vergrößern, wurden in ganz Deutschland regelrechte Medienkampagnen gefahren. So überzeugte die Stadt Berlin die Frauen, indem sie die zweithöchste Kategorie von Lebensmittelkarten als Teil der Entlohnung anbot. Um Freiwillige endgültig zu überzeugen, wurde das Bild der stolzen und fröhlichen Trümmerfrau in Szene gesetzt. Dieses Bild, welches eigentlich einer Marketingstrategie geschuldet war, hat sich schnell im deutschen Gedächtnis als Realität abgelagert. Sowohl in Reden, als auch in Büchern, Filmen und Kunstwerken wird es bis heute so reproduziert.

 

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So richtig überzeugend waren die eher aus dem westlichen Sektor kommenden Werbemaßnahmen seltsamerweise im Osten. Denn dort waren die Trümmerfrauen längst nicht mehr nur Symbol des Wiederaufbaus, sondern Vorbild in Sachen Emanzipation. Viele ostdeutsche Frauen konnten nach dem Krieg zum ersten Mal die Gelegenheit wahrnehmen, sich auch in klassischen Männerberufen ausbilden zu lassen. Die Trümmerfrau war da genau das richtige Symbol. In Westdeutschland hingegen passte die fleißige, selbstbewusste, emanzipierte Trümmerfrau nicht zum konservativen Frauenbild und wurde dort deshalb auch längst nicht so populär.

Trümmerfrauen – kein Massenphänomen

Zwar war das Bild der schutträumenden Frauen in der Öffentlichkeit sehr sichtbar, aber um ein wirkliches Massenphänomen handelte es sich dabei nicht. Im besonders stark zerstörten Berlin beispielsweise waren nur etwa 60.000 Frauen an der Beseitigung der Kriegsruinen beteiligt. Das entsprach noch nicht mal fünf Prozent der weiblichen Bevölkerung in der Reichshauptstadt. In der britischen Besatzungszone, dem heutigen Niedersachsen und Schleswig Holstein waren sogar weniger als ein Prozent der Frauen an harter körperlicher Arbeit beteiligt. Im Gegensatz zu dem, woran sich die Deutschen kollektiv erinnern, stießen öffentliche Appelle zur Trümmerarbeit bei Frauen im Allgemeinen auf wenig Begeisterung. So meldeten sich im Dezember 1945 bei einer Rekrutierungsarbeit von Freiwilligen in Duisburg nur etwa 50 Frauen aber knapp 11.000 Männer zur Schuttbeseitigung.

Trotzdem ein wirksames Symbol

Trotzdem gelten die Bilder der hart arbeitenden Trümmerfrauen auch im Ausland als der Beweis einer Nation, deren Überlebenswille kurze Zeit später das deutsche Wirtschaftswunder möglich machte. In der späteren BRD gab es die Bewegung der Trümmerfrauen eigentlich überhaupt nicht. Dort wurden vor allem Kriegsverbrecherinnen und treue Parteigängerinnen der NSDAP zur Aufbauarbeit zwangsverpflichtet. Im Osten Deutschlands hingegen waren Trümmerfrauen oftmals „gezwungen freiwillig“ im größeren Maße an der Wiederaufbauarbeit beteiligt, wurden aber zum eigentlichen Symbol der Gleichberechtigung von Mann und Frau auch in der industriellen Berufswelt der späteren DDR. Trotz all dieser Fakten lebt der Mythos der Trümmerfrau weiter, wohl auch weil das Bedürfnis groß ist, das Nachkriegsdeutschland als Schöpfung von Heldinnen zu sehen.