Starke Frauen: Lindsey Vonn – die Unzerbrechbare

Lindsey Vonn Garmisch Partenkirchen 2017
Foto: ©Stefan Brending, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de, 2017 Audi FIS Ski Weltcup Garmisch-Partenkirchen Damen - Lindsey Vonn - by 2eight - 8SC9237, CC BY-SA 3.0 DE
Sie ist die wohl beste alpine Skifahrerin aller Zeiten. Fast hätte sie den ewigen Rekord an Weltcupsiegen (86) des legendären Schweden Ingemark Stenmark gebrochen. Sie war die erste Amerikanerin überhaupt, die in der Abfahrt eine olympische Goldmedaille gewinnen konnte und hat ihren Sport gerade für Frauen auf ein anderes Niveau gehoben.

Doch neben all ihren Erfolgen wird Lindsey Vonn wohl vor allem auch für die Zahl und Art ihrer Verletzungen und ihre unglaublichen Comebacks in Erinnerungen bleiben. Weder Beinbrüche, schwere Schnittwunden oder blaue Augen noch Ehekrisen und Depressionen konnten die „Unzerbrechbare“ in die Knie zwingen. Grund genug, um ihr einen Teil in unserer Serie „Starke Frauen“ zu widmen. Bühne auf und Applaus für …

Lindsey Vonn

Als Lindsey Vonn im Februar diesen Jahres bei der Weltmeisterschaft im schwedischen Åre zum allerletzten Wettkampf ihrer beispiellosen Karriere antrat, war klar, dass sie sich nicht als eine Art Maskottchen des alpinen Skisports verabschieden würde. Im Gegenteil: Es war nochmal das ganz große Drama – der Sturz und die Wiederauferstehung – welches die 34-Jährige auf die verschneite Bühne brachte. Im ersten Akt fädelte Vonn im Super G in einem Richtungstor ein, knallte in vollem Speed mit Bauch und Gesicht auf die steinharte Piste und landete nach einer schmerzhaften Rutschpartie zum x-ten Mal in ihrer Karriere im Fangzaun. Es dauerte eine Weile, bis sich die „Speed Queen“ gefangen hatte. Dann ließ sie den Rettungswagen stehen und beruhigte die geschockten Zuschauer: „Ich habe ein Veilchen, aber sonst geht es mir großartig.“ Doch es gehört zur erstaunlichen Karriere von Lindsey Vonn, dass auf jeden Niederschlag das Comeback folgte. Und das meist weitaus schneller, als ihr das auch von Experten zugetraut wurde. Auch in Åre dauerte es nur wenige Tage. Im allerletzten Rennen ihrer Karriere gewann Lindsey Vonn in der Abfahrt noch einmal Bronze und stellte damit vielleicht einen Rekord für die Ewigkeit auf: Die Medaille machte die 34-jährige Amerikanerin zur ersten Skifahrerin, die bei sechs verschiedenen Weltmeisterschaften Medaillen gewinnen konnte.

Gold-Medaillen und Rekorde – doch Ingemark Stenmarks Bestmarke knackt sie nicht

Lindsey Vonn Abfahrtsweltcup 2010
2010 gewinnt Lindsey Vonn den Weltcup im Abfahrtski. © U.S. Ski Team, Lindsey Vonn wins World Cup Downhill globe 2010, CC BY 2.0

Lindsey Vonn gewann einmal Olympiagold in Vancouver 2010 in der Abfahrt, dazu zweimal Bronze (Vancouver 2010 Super-G und Pyeongchang 2018 Abfahrt). Bei Weltmeisterschaften holte sie zwischen 2007 und 2019 insgesamt zweimal Gold und jeweils dreimal Silber und Bronze in Super G und Abfahrt. Doch wirklich legendär sind ihre 82 Weltcupsiege. Schon Anfang 2015 hatte sie mit ihrem 63. Triumph den 35 Jahre alten Rekord der Österreicherin Annemarie Moser-Pröll überboten und sich von da an aufgemacht, die unschlagbar scheinende Bestmarke des Schweden Ingemark Stenmark (86 Weltcupsiege) zu knacken. Doch eine Verletzung war am Ende wohl zuviel: Nach einer Trainingseinheit im heimischen Colorado im November 2018 zeigte sich das „gute“ Knie von Lindsey Vonn so lädiert, dass sie danach sechs Rennwochen pausieren musste. Dabei verpasste sie unter anderem auch ihren Lieblingsweltcup in Lake Louise, Alberta, wo sie vorher bereits 18 Mal gewonnen hatte und theoretisch drei Weltcupsiege möglich gewesen wären. Am Ende fehlten Lindsey Vonn ganze vier Siege im Weltcup, um den Rekord Stenmarks zu egalisieren.

Für Bode Miller, seines Zeichens wohl größter männlicher Skirennfahrer aller Zeiten, ist Lindsey Vonn dennoch die wohl beste Skifahrerin (weiblich wie männlich) aller Zeiten. „Lindsey hat Weltcuprennen in allen fünf alpinen Disziplinen gewonnen, Stenmark nur in zwei. Er fuhr in einer anderen Ära und musste sich während seiner gesamten Karriere nie auch nur annähernd mit Dingen befassen, mit denen Lindsey zu tun hatte. Stenmark hat 14 oder 15 Rennen pro Saison absolviert, und das ist nicht annähernd das, was sie pro Jahr heruntergerissen hat. „Für mich ist Lindsey die wirklich größte alpine Skifahrerin, die dieser Sport bis jetzt gesehen hat.“

Medaillenspiegel Lindsey Vonn
Der beeindruckende Medaillenspiegel von Lindsey Vonn nach 19 Jahren Karriere. © Sunny-Dessous

Die Königin der Hochgeschwindigkeits-Unfälle

Eigentlich wollte Lindsey Vonn – das sagte sie oft in Interviews –mit ihren Verletzungen nie in Verbindung gebracht werden. Aber es sind neben ihren unzähligen Erfolgen eben immer auch die Stürze und Unfälle gewesen, die sie von allen anderen Skirennfahrerinnen der Vergangenheit und Gegenwart unterschied. Das Protokoll ihrer Brüche, Risse und anderer physischer Demolierungen liest sich am Ende nicht weniger spektakulär als das ihrer Siege und Rekorde. Nach ihrem Triumphlauf bei der WM 2009 in Val d’Isère schnitt sie sich bei dem Versuch, eine Champagnerflasche zu öffnen, den Daumen zentimeterweit auf. Von den Weltmeisterschaften 2007 in Åre und 2013 in Schladming kehrte sie mit Kreuzbandrissen zurück. Im Sommer 2015 brach sie sich den Knöchel und im März 2016 den Kopf des Schienbeins gleich dreimal. 2016 brach ihr bei einem Sturz der Oberarm und verursachte nicht unerhebliche Schädigungen der Nerven. Beim nächsten Rennen musste sich die unerschütterliche Amerikanerin die rechte Hand deswegen am Skistock festkleben – und gewann. Es war vor allem diese Unerschrockenheit, die ihr den Respekt fast aller ihrer Konkurrentinnen einbrachte. Ihre Bereitschaft, alles zu tun, um weiterhin Rennen zu fahren und zu gewinnen, begeisterte alle, die gegen sie antreten mussten. Die Italienerin Sophia Goggia, Olympiasiegerin in der Abfahrt bei den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang, drückte ihre Bewunderung so aus. „Du hast immer gewusst, dass sie dich jederzeit noch erwischen kann. Einfach weil niemand vor ihr das geschafft hat, was sie geschafft hat.“

Dem englischen Guardian sagte Lindsey Vonn nach dem Ende ihrer Karriere Anfang diesen Jahres: „Ich war bis zum Schluss bei jedem Rennen bereit, alles zu riskieren. Aber das war auch genau der Grund, warum ich so oft gestürzt bin.“ So rücksichtslos gegen ihren eigenen Körper war vorher keine andere Skirennfahrerin vorgegangen. Lindsey Vonn trainierte häufig mit Männern und übernahm die aggressiveren, leistungsstärkeren Taktiken und Techniken, die auf den deutlich riskanteren Strecken der Männer notwendig waren. Sie benutzte als erste Frau die steiferen Herren-Ski und versuchte im Laufe der Jahre mehrmals, an Herren-Weltcuprennen teilzunehmen. Als ihr die Starts mehrfach verweigert wurden, protestierte sie lautstark, was am Ende dazu führte, dass sich der Fokus der Medien stärker auf den alpinen Rennsport der Frauen richtete.

Das Small-Town-Girl aus einer Familie von Skifahrern

Lindsey Vonn Aspen
Lindsey Kildow (später Vonn) bei einem Rennen 2006 in Aspen. © Arthur Mouratidis, Lindsey Kildow Aspen, CC BY-SA 2.0

Lindsey Vonn stammt aus Minnesota und das Skifahren wurde ihr von ihrer Familie in die Wiege gelegt. Nach dem Tod ihres Großvaters Don Kildow 2018 erklärte sie auf einer tränenreichen Presskonferenz während der olympischen Spiele in Pyeongchang: „Ohne ihn würde ich nicht Rennen fahren. Mein Großvater hat meinem Vater das Skifahren beigebracht. Es liegt an ihm, dass es in unserer Familie ist. Linseys Vater, Alan Kildow, ein ehemaliger amerikanischer Juniorenmeister, hatte die erst Dreijährige in der Nähe ihres Hauses in Burnsville erstmals auf Ski gestellt. Später wurde sie von Erich Sailer, dem ehemaligen Trainer ihres Vaters in Buck Hill, trainiert und übertraf schnell ihre Altersgenossinnen. An diese Zeit erinnert, erzählte sie der New York Times später: „Das war ehrlich gesagt nicht der beste Weg, um neue Freunde zu finden. Ich beendete meine Rennen und alle 14-Jährigen weinten am Ende, weil eine 10-Jährige sie geschlagen hatte.“ Mit 12 Jahren zogen Vonn und ihre Mutter Linda nach Vail Colorado, damit sie für den berühmten Ski Club Vail fahren konnte. Nur zwei Jahre später war sie bereits Mitglied des US-Nachwuchsteams und fuhr mit 16 Jahren in Park City, Utah, ihren ersten Weltcup. Später im selben Jahr (2002) traf die damals 17-jährige Lindsey bei ihrem Olympia-Debüt in Salt Lake City auf Thomas Vonn, einen neun Jahre älteren Skirennfahrer, der ihre nächsten Jahre entscheidend prägen sollte. Denn Thomas Vonn wurde Lindseys Trainer, Berater, Manager und „Sportpsychologe“. Und 2007 auch ihr erster Mann. Die Ehe verursachte jedoch einen Riss in Vonns Beziehung zu ihrem Vater, den sie nicht nur nicht zu ihrer Hochzeit einlud, sondern mit dem sie sechs lange Jahre kein einziges Wort sprach.

„Ich fühlte mich hoffnungslos und leer wie ein Zombie“

Ein erster Schatten hatte sich über die vielversprechende Karriere gelegt, dem gerade im privaten Bereich noch einige folgen sollten. Bereits 2008 soll Linsey Vonn nach eigener Aussage erstmals unter Depressionen gelitten haben: „Für die anderen Menschen muss es damals so ausgesehen haben, als wenn alles in meinem Leben perfekt laufen würde. Aber in mir sah ganz anders aus. Ich konnte früh nicht mehr aufstehen und fühlte mich hoffnungslos und leer wie ein Zombie.“ Ein weiterer Katalysator dieser Entwicklung war die nicht wirklich glücklich verlaufende Ehe mit Thomas Vonn. „Alle haben mich im Fernsehen gesehen oder Artikel gelesen, und es ging immer um meine großartige Ehe, die helle Fassade, all diesen Erfolg und mein perfektes Leben“, sagte sie 2012 zum PEOPLE-Magazin. „Aber hinter den Kulissen war es für mich ein schwerer Kampf.“ Vonn gab zu, dass sie an Depressionen litt, die sich vor allem in den letzten Monaten ihrer ersten Ehe stark verschlimmert hatten. Am Ende zog sie ein trauriges Resümee: „Liebe und Skifahren, das funktioniert nicht. Ich weiß, dass es für mich schwierig ist mit jemandem eine Beziehung einzugehen, der nicht auf hohem Niveau Sport treibt. Aber Geschäft und Liebe in einer Beziehung zu vermischen, das hat sich für mich als fatal erwiesen.“

Tiger-Jahre und eine Kontroverse mit Donald Trump

Noch im selben Jahr lernte Lindsey Vonn auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung Golf-Legende Tiger Woods kennen, der seine Ehe zwei Jahre vorher ebenfalls auf spektakuläre Art und Weise in den Sand gesetzt hatte. Doch nach drei Jahren trennten sich die beiden „Gefallenen“ als gute Freunde wieder voneinander. Es folgte ein Jahr an der Seite des Ex-Footballers Kenan Smith, bevor sie Anfang 2018 mit P. K. Subban, einem Eishockeyspieler von den Nashville Predators, zusammenkam. Etwa zu selben Zeit sorgte Vonn, die sich zunehmend gern in eleganten Abendkleidern auf diversen Galas zeigte und auch auf Instagram und Facebook ihren Promi-Status genoss, in den USA für einen kleinen Polit-Skandal, als sie die Einladung von US-Räsident Trump ins Weiße Haus ausschlug. Ihr Kommentar: „Ich hoffe, das Volk der Vereinigten Staaten zu vertreten, nicht den Präsidenten.“ Mit dieser Haltung hatte sich die angstfreie Lindsey Vonn mal wieder auf eine sehr steile Piste begeben. Während sie von den einen gefeiert wurde, wünschten ihr andere wortwörtlich „Hals- und Beinbruch“. Selber im Zentrum des Orkans zu stehen, der das politische Leben ihrer Heimat seit einiger Zeit durcheinanderschüttelt, damit hatte Lindsey Vonn nicht gerechnet. Am Ende wünschte sie sich, dass die Amerikaner wieder zu einer konstruktiven Kommunikation zurückfinden würden und sie sich wieder auf das konzentrieren kann, was sie am besten kann: Skifahren.

„Nie wieder privat Skifahren, ohne dass mir der Skipass weggenommen wird“

Mittlerweile kann sich Lindsey Vonn ganz ihren Hobbys widmen. Sie hat ein Faible für Mode und Hunde, besitzt in Colorado ein paar Kühe, kümmert sich um ihre Stiftung und um Nachwuchs-Rennläuferinnen wie Breezy Johnson. Auf ihre Zukunft ohne das Skifahren angesprochen, erklärte die „Queen of Speed“ unlängst trotzdem etwas skeptisch: „Ich werde dieses wundervolle Gefühl der Geschwindigkeit vermissen, das man nur mit einem Paar Skiern abwärts auf einem steilen Hang erreichen kann. Ich weiß noch nicht, wie ich das kompensieren soll, denn ich werde es nicht schaffen, privat so schnell Ski zu fahren, ohne dass mir mein Skipass weggenommen wird.“

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