Starke Frauen: Florence Nightingale – mehr als nur die „heilige Krankenschwester“ ?

Statue von Florence Nightingale
© istock/TonyBaggett
Die Britin Florence Nightingale ist die wohl berühmteste und einflussreichste Krankenschwester aller Zeiten. Als die „Dame mit der Lampe“ ging sie in die Geschichte ein. Ihr persönlicher Ehrgeiz führte sie Mitte des 19. Jahrhunderts in die Hölle der Hospitale des brutalen Krim-Krieges und infolgedessen auf eine lebenslange Reise, die die Krankenpflege und die Erneuerung der Krankenhäuser erst in Großbritannien und dann der ganzen Welt verändern sollte.

Die Legende von der „heiligen Krankenschwester“, die sie schon zu Lebzeiten zu einer Berühmtheit machen sollte, verdunkelte allerdings lange den Fakt, dass Florence Nightingale vor allem eine hochbegabte und kreative Statistikerin war, deren Analysen und Dokumentationen Zehntausenden das Leben rettete. Nicht umsonst wurde sie 1859 als erste Frau in die Royal Statistical Society gewählt und 1874 Ehrenmitglied der American Statistical Association. Ihre Polardiagramme (auch Nightingale Rose genannt) werden noch heute verwendet. Bühne auf und Applaus für… Florence Nightingale.

Das begabte Kind aus Florenz

Zwar wurde Florence nach der italienischen Stadt ihrer Geburt, Florenz, benannt (1820), aber aufgewachsen ist sie zusammen mit ihrer älteren Schwester Parthenope auf malerischen Landgütern in England. Schon die Namen der beiden Mädchen geben einen Hinweis darauf, dass ihre Familie nicht nur der oberen Mittelklasse angehörte, sondern dass ihr Vater einen ausgeprägten Hang für klassische Bildung und dabei vor allem für antike Philosophie und Literatur sowie moderne Sprachen besaß. In ihrer Ausbildung zeichnete sich vor allem die jüngere Florence früh als begabtes Kind aus. Ihr Interesse galt allerdings mehr der Mathematik und den Naturwissenschaften. Auch ihre besondere Vorliebe fürs Aufzeichnen, Dokumentieren und Organisieren zeigte sich früh. So legte sie sich eine umfangreiche Muschel-Sammlung an, die sie mit präzise gezeichneten Tabellen und Listen versah.

Erste statistische Erhebungen und Begegnung mit Gott

Diese unkonventionellen Interessen kamen allerdings erst richtig zum Vorschein, als die Familie Nightingale mit ihren Töchtern 1837 eine ausgedehnte Europatour unternahm. Diese Bildungsreisen waren in dieser Epoche innerhalb des gehobenen Bürgertums äußerst beliebt und dienten der Erziehung, Bildung und Verfeinerung der Umgangsformen junger Frauen. Doch wie Einträge aus ihrem Tagebuch der Reise belegen, hatte die erst 17-jährige Florence auch hier ihren eigenen Plan. Denn anstatt sich der Ausformung ihrer Manieren zu widmen, fertigte sie detaillierte Aufzeichnungen von Bevölkerungsstatistiken, Krankenhäusern und anderen karitativen Einrichtungen an und widmete sich trotz der deutlichen Missbilligung ihrer Mutter vor allem mathematischen Fragen. Das Entsetzen der Eltern über die seltsame Entwicklung ihres Kindes wurde noch größer, als sie während der Familien-Reise erklärte, Gott sei ihr erschienen und habe sie zu seinem „Dienst“ gerufen. Und dieser, so die beseelte Florence, bestünde in der Pflege von Kranken und Verletzten.

Abgelehnter Heiratsantrag

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Florence Nightingale Museum (@florencemuseum) am

Mit Anfang 20 galt Florence als das, was man zu ihrer Zeit als eine „gute Partie“ bezeichnete. Sie war intelligent, eine auffällige Erscheinung und kam aus einer wohlhabenden Familie. Vater und Mutter erwarteten, dass sie gut heiraten würde, aber die Aussicht auf ein häusliches Leben ließ Florence kalt. 1844 hatte sie endgültig beschlossen, dass Pflege ihre Berufung ist. 1849 lehnte sie nach langer Umwerbung sogar einen Heiratsantrag ab, weil sie fest daran glaubte, ihr Schicksal liege außerhalb der Ehe. Und auch ansonsten blieb die junge Florence Nightingale stur. Nichts konnte sie von ihrer Mission abbringen, Krankenpflegerin zu werden. Sie widersetzte sich den Wünschen ihrer Eltern und besuchte weiterhin Krankenhäuser in Paris, Rom und London. Als Vater und Mutter Nightingale letztlich begriffen, dass es unwahrscheinlich war, dass ihre eigenwillige Tochter einen klassischen Weg als Ehefrau gehen würde, gaben sie letztlich nach und akzeptierten eine Ausbildung in Düsseldorf in Deutschland zur Krankenschwester. Ihre ältere Schwester Parthenope hingegen litt unter der hart erkämpften Unabhängigkeit ihrer jüngeren Schwester und erlebte 1852 einen Nervenzusammenbruch. Florence war ein letztes Mal gezwungen in das elterliche Gut zurückzukehren, um für sie zu sorgen. In Embley Park, wo die Nightingales die Hälfte des Jahres verbrachten, trafen sich zwar nicht wie erhofft Mitglieder des britischen Hochadels, aber mit dem Dichter Lord Byron, dem Wissenschaftler Charles Dickens und dem späteren Premierminister Lord Palmerston waren durchaus illustre Persönlichkeiten ihrer Zeit zu Gast. Florence Nightingale allerdings war von der Gesellschaft eher gelangweilt und suchte sich ihrerseits selbst einflussreiche Freunde.

Kriegsminister schickt Florence Nightingale persönlich in Krim-Krieg

Einen langanhaltenden Einfluss auf Florence hatte die Bekanntschaft mit dem preußischen Botschafter Christian von Bunsen, der sowohl in Rom als auch in London die Gründung von Krankenhäusern angeregt hatte. Ein anderer guter Bekannter von ihr war Großbritanniens Kriegsminister Sidney Herbert. Und der erinnerte sich an seine Freundin, die mittlerweile Superintendentin in einem Frauenkrankenhaus in der Londoner Harley Street geworden war, als 1853 der Krim-Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich sowie dessen Verbündeten Großbritannien und Frankreich ausbrach. Diese militärische Auseinandersetzung sollte als erster „moderner“ und „industrieller“ Krieg angesehen werden und tötete sowie verletzte innerhalb von kürzester Zeit mehr Menschen, als jeder kriegerische Konflikt davor. Zeitungsberichte von der Front erzählten zahllose Horrorgeschichten über die entsetzlichen Zustände in den Krankenhäusern der britischen Armee und so beauftragte Sidney Herbert seine Freundin Florence Nightingale, mit 38 von ihr ausgewählten Krankenschwestern zum Militärhospital in Scutari, in der Türkei aufzubrechen. Es war überhaupt das erste Mal, dass Frauen offiziell in der Armee dienen durften.

Katastrophale Zustände

Als sie ankam, war das Krankenhaus in Scutari in einem erbarmungswürdigen Zustand. Die Krankenbaracken standen vor Dreck und der Boden war ein paar Zentimeter dick mit Kot überzogen. Florence ließ alle Gebäude zunächst gründlich reinigen und sorgte dafür, dass alle Verletzten ordentliche Mahlzeiten und saubere Kleidung erhielten. Es war wohl das erste Mal, dass einfache Truppenteile einer Armee mit Anstand und Respekt behandelt wurden. Doch die Bemühungen Florence Nightingales hatten zunächst keinen wirklichen Erfolg, denn die Zahl der Todesopfer schien weiterhin zu steigen. Mit über 4000 Toten in einem einzigen Winter nahm sie unaufhaltsam zu. Und obwohl Florence Nightingale mit ihren Anweisungen und ihrem unermüdlichen Einsatz für sichtbare Verbesserungen in den Front-Hospitälern gesorgt hatte, war der Aufenthalt dort nicht weniger tödlich geworden. Im Frühjahr 1855 sandte die britische Regierung deshalb eine Sanitärkommission aus, um die Bedingungen in Scutari zu untersuchen. Es stellte sich heraus, dass das Hospital an einem Abwasserkanal gebaut war, was bedeutete, dass Patienten kontaminiertes Wasser tranken. Das Hospital wurde zusammen mit anderen Krankenhäusern der britischen Armee einer gründliche Desinfizierung unterzogen und zusätzlich die Belüftung verbessert. Infolgedessen begann die Sterberate deutlich zu sinken.

Fanpost für die „Dame mit der Lampe“

Was nun folgte, war eine Glorifizierung Florence Nightingales, die in ihren Ausmaßen an die Verehrung von Pop-Stars in unserer Zeit erinnert. In der britischen Presse war im Zuge des Krim-Krieges ein Porträt Florence Nightingales veröffentlich worden, dass in seinen Illustrationen erstmals Bilder von ihr zeigte, wie sie des Nachts, mit einer Lampe, mutterähnlich das Befinden ihrer Patienten kontrollierte. Danach konnte sich die Familie Nightingale vor Fan-Post in Form von zugeschickten Gedichten kaum retten. Bilder von der „Dame mit der Lampe“ wurden auf Taschen, Decken oder andere Souvenirs gedruckt, was Florence Nightingale mehr als unangenehm war. Obwohl sie 1855 als Heldin und Berühmtheit nach Hause zurückkehrte, hielt sie sich zurück, indem sie unter dem Pseudonym „Miss Smith“ zurückreiste.

Queen Victoria wird zu einer ihrer größten Unterstützerinnen

Es dauerte ein paar Monate bis die Analytikerin Florence Nightingale verarbeitet hatte, was sie in Scutari gesehen und erlebt hatte. Doch dann begann sie ihren Ruhm als mächtige Waffe zur Umsetzung ihrer Lebensmission einzusetzen. Schon kurz nach Beendigung des Krim-Krieges traf sie mit Queen Victoria einen ihrer größten Fans. Mit ihrer Unterstützung überredete sie die britische Regierung, eine Königliche Kommission für die Gesundheit innerhalb der Armee einzurichten. Die führenden Statistiker William Farr und John Sutherland von der Sanitary Commission halfen ihr dabei, große Mengen komplexer Armeedaten zu analysieren. Die Wahrheit, die sie dabei entdeckte, war schockierend: 16 000 der 18 000 britischen Todesfälle innerhalb des Krim-Krieges waren nicht auf Kampfverletzungen zurückzuführen, sondern auf vermeidbare Krankheiten, die durch schlechte sanitäre Einrichtungen verbreitet wurden.

Eine Krankenschwester erfindet das Bild-Diagramm

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Florence Nightingale Museum (@florencemuseum) am

Obwohl die Zahlen eine klare Sprache sprachen, erkannte Florence Nightingale, dass sie mit unübersichtlichen Tabellen und Listen kaum die öffentliche Meinung auf ihre Seite ziehen konnte. Also stellte sie die Zahl der Todesopfer auf eine für die damalige Zeit geradezu revolutionäre Weise dar. Ihr sogenanntes „Rosendiagramm“ zeigte auf eine ebenso simple wie eingängige Weise, wie die Anzahl der Todesfälle nach der Arbeit der Sanitärkommission innerhalb nur eines einzigen Jahres um 99 Prozent zurückgegangen war. Das Diagramm war so leicht zu verstehen, dass es zahlreich kopiert wurde und die Öffentlichkeit die Schwächen der Armee und die dringende Notwendigkeit von Veränderungen verstand. Florence Nightingale gilt damit als Pionierin in der grafischen Darstellung von Statistiken, die sie benutzte, um „die Augen zu beeinflussen“, mit dem was nicht in unsere „wortfesten Ohren dringen kann“. Dank des entstandenen Drucks aus der Öffentlichkeit wurden neue Abteilungen für Militärmedizin, Gesundheitswesen und Statistik eingerichtet, um die allgemeine Gesundheitsversorgung in ganz Großbritannien zu verbessern.

Medizinische Versorgung für Alle!

Florence Nightingale war selber nicht von überragender körperlicher Konstitution. Allerdings war sie sich sehr wohl darüber bewusst, dass sich Mitglieder ihrer gesellschaftlichen Klasse immer die besten Ärzte ins Haus kommen lassen konnten. Die meisten anderen Menschen des viktorianischen Zeitalters, welches von Charles Dickens in Büchern wie „David Copperfield“ und „Oliver Twist“ oder der weltberühmten „Weihnachtsgeschichte“ so eindrücklich beschrieben worden war, konnten sich nur selbst um sich kümmern. Florence Nightingales 1859 erschienenes Buch „Notes on Nursing“ (dt.: „Notizen zur Krankenpflege“) zielte genau darauf ab, Menschen über Möglichkeiten der Pflege von kranken Verwandten und Nachbarn aufzuklären. Auch die Ärmsten der Armen verlor Florence Nightingale auf dem Höhepunkt ihres Schaffens nicht aus den Augen. So schickte sie immer wieder ausgebildete Krankenschwestern in Armenhäuser, um die Bedürftigen zu behandeln. Dieser Versuch, die medizinische Versorgung für jedermann zugänglich zu machen, unabhängig von seiner Klasse oder seinem Einkommen, war ein früher Vorläufer des heute in den meisten fortschrittlichen Industrienationen üblichen Gesundheitssystems.

Gründung der ersten Krankenschwesternschule und des Roten Kreuzes

Die Verdienste und Errungenschaften, die Florence Nightingale in den nächsten 50 Jahren bis zu ihrem Tod 1910 vorzuweisen hat, sind Legion. 1860 gründete sie die erste Krankenschwesternschule der Welt am Saint Thomas Hospital in London. Es ist in erster Linie ihr zu verdanken, dass der Beruf der Krankenschwester bis heute höchstes Ansehen genießt. 1864 wurde auf Initiative des Schweizer Philantropen Henry Dunant (1828-1910) das Internationale Rote Kreuz gegründet. Florence Nightingale hatte daran einen nicht unerheblichen Anteil. Besonderes Interesse Florence Nightingales galt auch den Zuständen in der britischen Kronkolonie Indien. Ab 1857 versuchte sie bessere Gesundheitsfürsorge sowohl für Armeeangehörigen als auch die indische Zivilbevölkerung zu erreichen. Ab 1870 fokussierte sie sich zunehmend auf die Ursachen der regelmäßig wiederkehrenden Hungersnöte. Ab 1879 setzte sie sich mit dem indischen Pachtwesen auseinander und ab 1886 konzentrierte sie sich auf Vorschläge zur Verbesserung der Gesundheitsfürsorge in indischen Dörfern und der Ausbildung indischer Frauen. Im Jahre 1907 wurde Florence Nightingale der britischen Verdienstorden verliehen. Drei Jahre später starb sie als internationale Berühmtheit im höchsten Ansehen.

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Florence Nightingale Museum (@florencemuseum) am

Zu Ehren von Florence Nightingale, der „Dame mit der Lampe“, der „heiligen Krankenschwester“ aber vor allem der begabten Statistikerin und Dokumentarin wird ihr Geburtstag, der 12. Mai, heute weltweit als Tag der Krankenschwestern und Krankenpfleger gefeiert.