Höschen-Krieg in Moskau

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©Sunny Magazin
Im 18. Jahrhundert verboten die Engländer ihren nördlichen Nachbarn in Schottland das Tragen ihrer berühmten Röcke. In der Türkei Kemal Atatürks kam die traditionelle Kopfbedeckung des osmanischen Reiches, der Fez, auf den Index und in der DDR mussten Jugendliche in Jeans bis in die Siebziger Jahre an Klubhäusern und Tanzsälen lesen: „Nietenhosen - kein Einlass“.

Die Geschichte verbotener Textilien ist lang und im Wettstreit gegenseitiger Wirtschaftssanktionen gehen sich seit einiger Zeit auch Russland und die Europäische Union an die Wäsche. Seit dem 1. Juli 2014 muss in der Eurasischen Union, der neben Russland auch Kasachstan und Weißrussland angehören, Unterwäsche einen gesetzlich vorgeschriebenen Baumwollanteil von mindestens sechs Prozent haben. Hersteller, die jenes Kriterium nicht erfüllen, dürfen innerhalb dieser Wirtschaftsunion weder produzieren, noch verkaufen.

Nun bestehen die meisten Dessous allerdings aus Lycra, Seide und Satin und haben deshalb im Osten keine Chance mehr. Die offizielle Begründung für die Verbannung der Spitzenunterwäsche lautet, dass sie nicht genügend Flüssigkeit aufnehmen könne und deshalb ein Problem für die Gesundheit der Frauen darstellt. In Wirklichkeit geht es den Politikern in Moskau, Minsk und Astana wohl eher darum, den eigenen Markt zu regulieren und nebenbei der Europäischen Union, als Revanche für deren Wirtschaftssanktionen, ein paar Seitenhiebe zu verpassen.

Doch in der bizarren Höschen-Fehde schienen zunächst die Europäer, die Lacher auf ihre Seite zu haben. Bei Twitter und Facebook wurde die angedrohte Rückkehr zur sowjetischen Baumwoll-Buxe mit entsprechenden Gegenüberstellungen verhöhnt und in Kasachstan nahm die Polizei 30 Aktivistinnen fest, die mit der Parole „Freiheit für die Unterhose“ demonstriert hatten.

Richtig kurios wurde es, als sich Igor Tschernischijew, Vorsitzender des Ausschusses für Sozialpolitik in Russland, in die Affäre einschaltete und der heimischen Damenwelt für die Zeiten der ökonomischen Krise nicht nur den Einsatz von Roter Beete statt Lippenstift empfahl, sondern auch befand: „Unsere Frauen sind in Unterwäsche, die in Moskau produziert wurde, hübscher als in der aus Frankreich.“

Zwischen Sankt Petersburg und Wladiwostok, wo die Frau traditionell weder Kosten noch Aufwand scheut, um ihrer äußeren Erscheinung maximalen Glamour zu verleihen, werden solche Empfehlungen mit verständnislosem Achselzucken hingenommen. Rund drei Milliarden Euro wurden in Russland bis 2015 jährlich für Unterwäsche ausgegeben. 80 Prozent der Ware kam dabei aus dem Ausland. Auslagen in den großen Geschäften präsentierten ein beeindruckendes Sortiment. Doch die BH´s von Victoria Secret oder Spitzenhöschen von LaPerla sind nun schon länger aus den Regalen verschwunden. Es ist anzunehmen, dass die russischen Frauen ihre Wege gefunden haben, um nach wie vor an Seide und Satin aus Amerika und Westeuropa zu kommen. Das Tragen dieser Unterwäsche wurde ihnen bisher nämlich nicht verboten.

Wirklich hart aber wurden vor allem französische Lingerie-Marken von der Verbannung vom russischen Markt getroffen. Während zum Beispiel in Südeuropa einfachere Modelle aus Baumwolle bevorzugt werden, teilen Französinnen und Russinnen ihre Vorliebe für Spitzenunterwäsche. Auch deshalb hatten vor allem Dessous-Hersteller aus Frankreich in der Vergangenheit stark auf kaufkräftiges Klientel aus Russland gesetzt. Marken, wie Lise Charmel, Antinea oder Maison Lejaby erzielten dort in der Vergangenheit bis zu 30 Prozent ihres Umsatzes.

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Vor allem Dessous-Hersteller aus Frankreich wie z.B. Lise Charmel, hatten in der Vergangenheit stark auf kaufkräftiges Klientel aus Russland gesetzt. ©CarlMarie

Doch mit dieser Spitzen-Partnerschaft ist es nun vorbei. Der Wegfall üppiger Gewinne auf dem russischen Markt hat vor allem der französischen Unterwäsche-Industrie schwer zugesetzt. Die Unterwäsche-Kooperative Les Atelières beispielsweise war einst der Stolz der französischen Dessous-Industrie, fertigte hochwertige Unterwäsche noch in Handarbeit und belieferte andere Edel-Marken. Les Ateliers’ Umsatz brach nach Inkrafttretens des Gesetzes der Wirtschaftskommission der Eurasischen Union von einer Million Euro pro Jahr auf 230.000 Euro ein. Trotz einiger Rettungsversuche musste letztlich ein Liquidationsverfahren gegen die Kooperative eingeleitet werden.

Die Luxus-Dessous-Handelslinie Paris-Moskau gibt es auch schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Wie viel Geld die Russinnen nach wie vor für Spitzenhöschen und Seiden BH´s ausgeben, darüber kann aufgrund von fehlenden Statistiken nur spekuliert werden. In Frankreich hingegen mag vielleicht der Dessous-Rubel aus Moskau nicht mehr rollen, aber Unterwäsche-Königinnen sind die Französinnen nach wie vor.

Während in Italien und Deutschland pro Jahr lediglich 70 Euro für Handgefertigte Dessous ausgegeben werden, sind es in Frankreich – Krise hin oder her – immer noch satte 30 Euro mehr.