Babydoll – Chronik eines skandalumwitterten Kleidungsstücks

Dieses aufreizende Hemdchen ist Provokation in Kleiderform. Mit seiner Empire-Taille kurz unter der Brust und seinem Rocksaum, der stets über dem Knie endet, hat sich das locker fallende Hängerchen einen Platz in der Geschichte der klassischen Damenwäsche erkämpft. Doch kaum ein Kleidungsstück hat solche Kontroversen provoziert und dabei stets die Geschlechterpolitik bestimmt, wie das Babydoll.

Ob als Nachtwäsche in den 1940er Jahren oder als Punk-Performance in den 1990 Jahren, immer wartete der Skandal gleich um die Ecke. Das Babydoll schien stets irgendwie gleichbedeutend mit weiblicher Befreiung, ob Emanzipation von Miederwaren oder der Strenge der Saum-Etikette. Doch ganz am Anfang stand ein Film, in dem wie in keinem anderen ein Kleidungsstück die Hauptrolle spielt. Wir von SUNNY DESSOUS erzählen hier die Geschichte eines stoffgewordenen Hollywood-Skandals.

Baby Doll – Titel und Hauptfigur

Basierend auf einem Theaterstück von Tennessee Williams konzentrierte sich der Hollywood-Film „Baby Doll – Begehre nicht des anderen Weib“ von Kult-Regisseur Elia Kazan auf die Hochzeit des mittelständischen und schon etwas älteren Baumwoll-Farmers Archie Lee (gespielt von Karl Malden) mit der erst 19 Jahre alten Baby Doll (gespielt von Carroll Baker). Die naive und kindliche Baby Doll wurde von ihrem inzwischen verstorbenen Vater bereits als Minderjährige in die Ehe mit Archie gegeben. Allerdings musste der das Versprechen geben, mit dem ersten sexuellen Akt bis zu ihrer Volljährigkeit, also dem Erreichen des 20. Lebensjahres zu warten. Der gesamte Film spielt in den letzten Stunden vor diesem entscheidenden Stichtag. Die erste Hälfte des Films zeigt das dysfunktionale Verhältnis des ungleichen Paares, ihre Wut, Rachsucht, den Alkoholmissbrauch und sexuellen Frustrationen.

Archies Baumwollmühle steht still, er selbst vor dem Bankrott. Als sein unbezahltes Mobiliar abgeholt wird, zündet er das Verarbeitungsgebäude seines aus Sizilien eingewanderten Konkurrenten Silva Vacarro (gespielt von Eli Wallach) an. Der ahnt, wo er den Täter finden kann, fährt zum Grundstück Archies und trifft dort auf Baby Doll, die zwischen Gefühlskälte und Naivität auf der einen Seite und einem unterdrückten Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Berechnung auf der anderen Seite angetrieben wird. Der Sizilianer weckt in der Kindsfrau, die den ganzen Tag in diesem leichten Nachthemdchen (eben dem Babydoll) herumläuft und sogar noch am Daumen lutscht, erste erotische Gefühle. Er verführt sie und sie gesteht, dass ihr eifersüchtiger Mann den Brand gelegt hat.

Der Skandal

Der Film stellt einen faszinierenden Fall in der Filmgeschichte dar. Denn nicht nur die katholische Kirche liefen gegen den Film Sturm, sondern auch ernstzunehmende Kritiker. Kinos mussten wegen Bombendrohungen geräumt werden, es kam zu Demonstrationen und das Time-Magazin schrieb: „Der Film ist wohl das schmutzigste Machwerk, welches je Hollywoods Teufelsküche verlassen hat. Selbst Boccaccio wäre davon peinlich berührt gewesen.“

Doch was hatte diesen „Krieg“ um den Film wirklich ausgelöst?

Es war vor allem die sexualisierte Darstellung der kindlich-verführerisch wirkenden Baby Doll. Bereits in der allerersten Szene wird diese in ihrem leichten, A-förmigen Nachthemdchen gezeigt, welches kaum über ihre Hüfte reicht. Ärmellos und nur mit einem Pumphöschen an, zeichneten sich ihre Brüste deutlich ab und die Beine waren vollständig zu sehen. Ein solches Kleidchen (was Schauspielerin Caroll Baker übrigens fast den gesamten Film über trägt) trugen zu dieser Zeit normalerweise nur Kinder – und genau diese Kombination verfehlte seine Wirkung nicht und ließ die amerikanischen Moralhüter auf die Barrikaden gehen.

Bereits acht Jahre vor Stanley Kubricks Adaption des Romans „Lolita“ war das Thema mit allen Anspielungen auf der Leinwand zu sehen. Ein paar Szenen werden immer wieder genannt, wenn es um die damalige Einschätzung der Obszönität und Vulgarität des Films geht. Ganz am Anfang beobachtet Archie seine schlafende Ehefrau durch ein Guckloch. Diese ist körperlich bereits völlig Frau, lutscht aber im Schlummer noch am Daumen und schläft in eine Art Kinderbett. Ganz zum Schluss, als Baby Doll dem Charme des Sizilianers Vacarro verfällt, sitzt sie wie ein kleines Mädchen auf einer Schaukel und lässt sich genießerisch vom Konkurrenten ihres Mannes überall berühren. In Nahaufnahme sieht man die keuchende und stöhnende Protagonistin, während Vacarros Hand suggestiv nach unten und außerhalb des Bild-Rahmens gleitet.

Was den Film zu so einem Skandal machte, war etwas, was in den verklemmten 1950er Jahren großes Unbehagen auslöste. Nämlich die Vermischung von kindlicher Unschuld und Sexualität. Baby Doll ist für ihre 19 Jahre noch extrem infantil, beherrscht aber schon das Spiel der Verführung. Und DAS Symbol dieses Zwiespaltes ist natürlich ihr Kleidungsstück.

Carroll Baker machte das Babydoll weltberühmt – Wer war sie?

Die Amerikanerin Carroll Baker war zum Zeitpunkt des Films 25 Jahre alt und sollte zu einer Art neuer Marilyn Monroe aufgebaut werden. Sie hatte zusammen mit James Dean das Lee Strassbergs Actors Studio besucht und im gemeinsamen Film „Giganten“ (ebenfalls 1956) die Tochter von Rock Hudson und Elisabeth Taylor gespielt, obwohl diese eigentlich neun Monate jünger war als sie. Sie war also darauf spezialisiert, sehr kindlich wirkende Frauen zu spielen und lieferte, so sahen es die Kritiker in „Baby Doll“, auch die beste schauspielerische Leistung ihrer Karriere ab. Trotz der heftigen Kontroverse um den Film erhielt sie eine Oscar-Nominierung als beste Hauptdarstellerin und den Golden Globe als beste Nachwuchsschauspielerin.
Trotzdem schaffte es die nur 1,65 große Carroll Baker nicht, den Bekanntheitsgrad von Marilyn Monroe oder Elisabeth Taylor zu erreichen. Ende der 1960er Jahre ging sie nach Europa und spielte in einigen heute als Kultfilme gefeierten italienischen Krimis und in Andy Warhols „Bad“ mit. Regisseur Elia Kazan nannte die von ihr so prächtig interpretierte Baby Doll übrigens später einmal „halb Marzipan und halb Zement“.

Darum ist das Babydoll ein zeitloser Klassiker

Das Hemdchen, welches Carroll Baker so auffallend trug, bekam durch den Film seinen Namen verpasst und ist bis heute bei Frauen sehr beliebt. Doch was genau ist nun ein Babydoll? Zunächst einmal ein kurzes, oft ärmelloses, locker sitzendes oder besser, fließend fallendes Nachthemd oder Negligé in A-Form. Ursprünglich war das Babydoll ein sehr leichter Schlafanzug, zu dem noch ein kurzes Höschen gehörte. Heute wird nur das Oberteil als Babybdoll bezeichnet. Es ist bequem zu tragen, damit ein unkompliziertes Stück Mode. Darüber hinaus aber auch ungeheuer vielfältig. Es kann Nacht- oder Reizwäsche sein, ein sommerliches Strandkleid oder das lässige Oberteil über der Jeans.
In all seinen Facetten strahlt es diese unverwechselbare Mädchenhaftigkeit aus, was es als Provokation eben auch in der Punk-Mode beliebt machte. Obwohl das Babydoll oft aus durchscheinenden Stoffen wie Seide, Chiffon oder Nylon gefertigt und mit Spitze, Rüschen, Applikationen, Schleifen und Bändern verziert ist, macht es trotzdem eine gute Figur. Die sogenannte „Empire-Taille“, also die Abnähung direkt unter der Brust, schafft eine verführerische Silhouette. Ein kleines Bäuchlein wird damit ebenso wirkungsvoll kaschiert wie ein attraktives Dekolleté in Szene gesetzt.

Die lange und bewegte Geschichte des Babydoll-Kleides

Das Babydoll erschien bereits Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Mode-Bildfläche, damals allerdings noch in Form eines sehr langen Kleides. Erst in den 1940er Jahren schnitt die Dessous-Designerin Sylvia Pedlar von Iris Lingerie ihre Nachtwäsche als Antwort auf die durch den Krieg verursachte Material-Knappheit einfach kurz. Schon bald war das Babydoll die Königin der Nachtbekleidung und erhielt durch den gleichnamigen Film einen weiteren Popularitätsschub, denn nun galt es auch noch als ein Symbol der politischen, körperlichen und sexuellen Befreiung der Frau. Im Jahr 1958 verwendete Mode-Designer Cristóbal Balenciaga den Babydoll-Schnitt und begann diesen in längeren Varianten für kurze Oberkleider zu nutzen. Auf den Zug sprang später auch der andere Fashion-Revolutionär der 1950er und 1960er Jahre, Hubert de Givenchy, auf und sagte: „Für mich ist dieses leichte Kleid mehr als nur eine Silhouette: Es ist eine Befreiung für die Frauen, die es anziehen.“

In den 1960ern Jahren wurden die immer kürzer werdenden Babydoll-Kleider zur rebellischen Uniform der Teenager an der Londoner Kings Road und zum Inbegriff der ersten richtig sichtbaren Jugendbewegung. Eine ihrer Königinnen war das kindhafte Modell und Vorbild aller heutigen It-Girls, Twiggy. Sie trug natürlich mit Vorliebe Babydoll-Kleider und war damit ein Stereotyp für selbstbestimmte Freiheit.

In den 1970ern und 1980ern war das Babydoll dann völlig out und erlebte sein überraschendes Comeback in der Grunge-Ära der 1990er Jahre. Lifestyle-Ikonen wie die Punk-Sängerin Courtney Love trugen das Babydoll in Kombination mit schweren Doc Martens-Stiefeln und verschmiertem Lippenstift. „Mein Standpunkt war Ironie“, erklärte Love dazu einmal. „Wir wollten die Infantilisierung der Frauen parodieren. Also sprangen wir mit den Symbolen der kleinen Mädchen, also Babydoll, Schnuller und Kinderwagen, auf Bühnen herum, schrien und warfen mit obszönen und anzüglichen Worten herum.“

Auch hier wurde das Babydoll-Kleidchen gewählt, um die gegensätzlichen Forderungen an die ideale Weiblichkeit zu zeigen: Unschuld und sexuelle Verführung. Da ist die Rebellion im Kern schon angelegt. Und das ist etwas Zeitloses, wie das Babydoll auch.