Die größten Mode-Designer: Pierre Cardin – der Vordenker des Space-Zeitalters

Pierre Cardin 1978
© News service, Pierre Cardin 1978, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
„Space is the new Black“ - mit diesem Titel überschrieb die „New York Times“ erst vor wenigen Wochen einen langen Fashion-Artikel, ohne dabei zu vergessen, wem die Modewelt dieses besondere Kapitel ihrer Historie verdankt. „Pierre Cardin nimmt uns mit zurück in die Zukunft“ hieß es also weiter und das Besondere daran war, dass hier die Rede von einem 97-jährigen ist, dessen einflussreichste Zeit die 1960er und 1970er Jahre waren.

Damals machte der Franzose sich mit seinen provokanten, futuristisch-avantgardistischen Kollektionen, die auffallend körperbetont und jugendlich waren, einen Namen und prägte wie kein anderer Fashion-Designer seiner Zeit die Epoche der Gegenkultur. Der Besitzer von 800 Fabriken, einem Schloss, einem Museum und einem halben Dorf ist heute einer der reichsten Männer Frankreichs und arbeitet erstaunlicher Weise noch immer an neuen Kollektionen. Er hat mit Christian Dior, Coco Chanel und Yves Saint Laurent alle seine Mode-Zeitgenossen überlebt und noch 2016 eine viel beachtete Modenschau auf die Beine gestellt. Future-Fashion is back, Space-Fashion is back – und auch ihr größter Pionier – Pierre Cardin weilt immer noch unter uns.

Von Star Trek zur Space Odyssee

Noch bevor in Woodstock das Zeitalter der Hippie-Bewegung eingeleitet wurde, hatte der Wettlauf um die Eroberung des Weltalls in den Industrienationen ein Gefühl geweckt, dass alles möglich ist, wenn man es sich nur vorstellen kann. Die 1960er Jahre hatten mit einem grenzenlosen Optimismus und vor allem einem Vertrauen in die Möglichkeiten der Technologie begonnen und dabei Künstler, Schriftsteller, Filmemacher und Designer dazu inspiriert, immer kühnere Zukunftsvisionen zu entwickeln. Pierre Cardin war mit Sicherheit einer dieser Visionäre. Russen und Amerikaner lieferten sich ein Wettrennen um die Eroberung des Alls, doch bevor Neil Armstrong 1969 seinen berühmten Schritt auf den Mond machen konnte, hatten Science-Fiction Serien wie „Raumschiff Enterprise“ (1966-1969), „Raumpatrouille Orion“ (1966) und der ewige Kultfilm Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968) die Bilder für die so nahe scheinende Zukunft inklusive der dann zu tragenden Mode bereits geliefert.

Bis 2069 jeder in seiner Weltraumuniform

 

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Die entsprechenden Entwürfe waren nicht unerheblich vom Einfallsreichtum des damals bereits 44-jährige Pierre Cardin beeinflusst. Unter dem erst viel später geläufigen Begriff „Space Age Fashion“ hatte der Franzose Anfang 1966 seine sogenannte „Cosmocorps“-Kollektion in Paris präsentiert und dort bis dato nie gesehene Gewandungen enthüllt. Frauen trugen Plexiglas-Hüte und Röhrenkleidung, Männer elliptische Hosen und kinetische Tuniken. Hinzu kamen überdimensionale Schmuckgehänge, die wie Panzer aus Metall und Plastik um Hals und Taille angeordnet waren. Die Kleider und Röcke waren ultrakurz, die Stiefel reichten bis über die Knie und die verwendeten Kunststoffe quietschten in allen erdenklichen Bonbonfarben. Cardins Vision war es nach eigener Aussage, dass spätestens 2069 jeder seine Weltraumuniform tragen würde und nahm das offenbar tatsächlich auch ernst. 1969 ging er nach Houston und befragte Beamte im NASA-Hauptquartier dazu, wie man auch auf Mond oder Mars stilvoll bleiben könnte.

Die erste reine Männerkollektion der Mode-Geschichte

 

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Schon in den früheren 1960er Jahren waren die popkulturellen Vorstellungen der Zukunft von einer Gleichstellung der Geschlechter geprägt und Cardins Cosmocorps-Anzüge waren ein Beispiel für diese Unisex-Kleidung. Der Franzose sorgte noch im selben Jahr für ein weiteres Novum innerhalb der Modebranche. Interessanterweise hatte diese bis dahin nur Damen-Kollektionen gekannt. Cardins sogenannte „Zylinder-Linie“ war die erste reine Herrenmode und musste von 200 Studenten präsentiert werden, weil der Beruf des männlichen Models noch gar nicht erfunden war. Die hochgeknöpften Anzüge ohne Kragen und seitlichem Reißverschluss waren in einer entschärften Version schon von den Beatles am Anfang ihrer Karriere getragen worden, womit Cardin seine ersten prominenten Unterstützer in der Jugendkultur gefunden hatte. Nur wenig später sollten auch die rebellierenden Studenten in Paris und Berlin zahlreiche Anleihen bei den Styles von Cardin nehmen, wobei vor allem die absichtlich sex-betonten Miniröcke, enganliegende Nylon-Suits und ultralange Overknees bei Frauen angesagt waren und bei den bürgerlichen Müttern für entsetzte Aufschreie sorgten.

Das geschäftstüchtige, schwarze Schaf der Branche

Cardin lebte in einer Ära der Vorstellungskraft und konnte Welten erkunden, die den Designern vor ihm unsichtbar erschienen. Doch viele seiner Innovationen kamen vor dem Weltraumzeitalter. 1922 war der Mode-Designer als Pietro Cardin nahe Venedig als elftes Kind französischer Eltern geboren wurden. Nach der Flucht der Familie aus dem faschistischen Italien zog es den jungen Cardin nach Paris, wo er 1946 als einer der ersten Mitarbeiter von Christian Dior begann, hochwertige, maßgeschneiderte Kleidung zu entwerfen. 1953 präsentierte er seine erste eigene Kollektion, wobei dicke Rollkrägen zu einer frühen Cardin-Signatur werden sollten. 1959 dann schockte Pierre Cardin die Pariser Modewelt, indem er eine Konfektions-Serie für das Pariser Kaufhaus Printemps entwarf.
Die französische Vereinigung der Haute Couture empfand die „Banalisierung“ ihrer Kunst als Unverschämtheit und schloss Pierre Cardin aus. Doch der Geschasste hatte sich wiedermal als Visionär erwiesen. In Zeiten des Wirtschaftsbooms in Europa hatte er den Reiz der High Fashion für die Mittelklasse erspürt und diesem Verlangen als einer der ersten Rechnung getragen. Nur wenige Jahre später beging er mit einer weiteren bahnbrechenden Idee den nächsten Tabubruch.

Besitzer des Maxim

Hatte er bisher nur normaler Mode für Jedermann seine Signatur gegeben, so verkaufte er nun Lizenzen an jeden, der seinen Namen als Markenzeichen auf seinen Produkten verwenden wollte. Cardin hat seitdem sein Logo auf mehr als 850 Lizenzen gestempelt, darunter alles von Seife bis hin zu Bratpfannen, und dabei ein Vermögen angehäuft. Sein Geschäftsimperium, welches sich immer noch zu 100 Prozent in einem Besitz befindet, wurde 2011 auf einen Wert von etwa 500 Millionen Euro geschätzt. Zwar hatte erst kürzlich ein Artikel im Harvard Business Review behauptet, dass Cardin durch die uferlose Lizensierung den Wert seiner Luxusmarke vermindert hat, so hat sie dem Designer doch schon früh die Freiheit gegeben, sich auf andere Projekte zu konzentrieren. So zum Beispiel den Kauf des Pariser Edel-Restaurants Maxim, dass er mittlerweile in eine globale Marke verwandelt hat.

Von der Jugendkultur aufgesogen

Bezüglich seiner Vorliebe für das Banale und die Populärkultur stand Pierre Cardin durchaus in derselben Linie von Pop Art und ihres wichtigsten Protagonisten, des etwa gleichaltrigen Andy Warhol. Zwar war auch seine Mode keineswegs für alle zugänglich, aber sein einzigartiger Stil wurde so schnell von der Jugendkultur seiner Zeit aufgesogen, wie bei keinem anderen Modedesigner sonst. Das lag natürlich auch daran, dass die Entwürfe simpel wirkten, deshalb sofort kopiert wurden und in deutlich preiswerteren Varianten schnell und überall zu kaufen waren.

Liebling der Prominenz

Pierre Cardins einzigartiges Design stand allerdings auch früh schon bei den Prominenten hoch im Kurs. Wie alle berühmten Modedesigner liebte auch er es, von reichen, schönen Frauen umgeben zu sein. Oder noch besser: Prominenten, Königinnen, Filmstars und weiblichen Aristokraten. Als Geschäftsmann war sich Pierre Cardin der Werbewirkung bewusst, die Stars wie „Bond-Girl“ Ursula Andress hatten, wenn sie seine Designs in der glitzernden Welt Hollywoods umhertrugen. Schon 1961 hatte er für Jacqueline Kennedy einen berühmten Anzug aus roter Wolle kreiert und auch Stars wie Lauren Bacall liebten den eleganten und etwas verschrobenen Franzosen. Dass für Cardin allerdings nicht alles nur Geschäft war, bewies die langjährige Beziehung zur französischen Schauspiel-Ikone Jeanne Moreau („Jules und Jim“).

Zwar ist Pierre Cardins große Zeit längst vorbei, aber seine Wirkung auf die aktuelle Mode ist unbestritten. Vor allem seine Space-Entwürfe aus den 1960er und 1970er Jahren erleben gerade wieder ein Revival. Und einer seiner Schüler hat das Werk des Meisters fortgeführt. Als erst 17-Jähriger hatte Jean-Paul Gaultier 1970 seine ersten Zeichnungen, Entwürfe und Skizzen gleich direkt zum einflussreichsten Modezaren seiner Zeit geschickt. Pierre Cardin gefiel, was er sah, machte dem jungen Gaultier ein Angebot, bei ihm zu arbeiten und beförderte so direkt dessen Karriere.

Erster Mode-Designer in China

Dass Pierre Cardin Zeit seines Lebens nicht gewillt war, sich den Regeln seiner Branche zu unterwerfen, bewies er letztlich auch mit seiner außergewöhnlichen Beziehung zu China. 1978 hatte er als erster westlicher Designer überhaupt das Reich der Mitte besucht und daraus eine überaus fruchtbare Beziehung aufgebaut, die bis heute Bestand hat. Schon in den Achtzigern stellte er in Peking seine Uniformen für die Stewardessen und Piloten von „Air China“ vor und auch einige seiner spektakulärsten Modenschauen fanden in China inmitten dramatischer Kulissen wie dem Yellow River Stone Forest oder der Wüste Gobi statt.

Um den 40. Jahrestag seines ersten Besuchs in China zu feiern, organisierte der bereist weit über 90-jährige Pierre Cardin 2018 eine Show an der Chinesischen Mauer. Über 300 seiner bekanntesten Entwürfe wurden dort ebenfalls an das berühmte Bauwerk projiziert wie sein überdimensionierter Name. Vielleicht ist es die Beherrschung dieser Szenerien, die Cardin, der Fashion-Vordenker des Space-Zeitalters, am ehesten erreichen kann, wenn er auf der Erde bleibt. Denn vom Mond aus, wo leider noch niemand die Cardin-Uniformen trägt, lässt sich die Chinesische Mauer nicht sehen.